Gleichbleibend hohe Fertigungsqualität bei Präzisionsbauteilen, kürzere Lagerzeiten, Prozesssicherheit und -integration, reproduzierbare Ergebnisse – die Entgratung von Bauteilen ist mit zahlreichen, hochaktuellen Herausforderungen verbunden. Innovative Lösungen für die geforderten Optimierungen eröffnen neue Wege, die auch über die Bauteilentgratung hinaus von Bedeutung sind.
Gegenüber Werkzeugmaschinen bestechen Roboter durch geringe Anschaffungskosten und hohe Arbeitsgeschwindigkeiten. Aufgrund ihrer flexiblen Einsetzbarkeit für verschiedenste Aufgaben lohnen sich Roboterzellen bereits bei geringer Auslastung. Dies macht ihren Einsatz anstelle herkömmlicher Werkzeugmaschinen auch im Kontext der Bauteilentgratung attraktiv und bietet neue Möglichkeiten.
Übernimmt ein Roboter zusätzliche Aufgaben im Prozess, lässt sich sein Gesamtwirkungsgrad erhöhen. Beispielsweise kann ein Pick-and-Place-Roboter Stillstandszeiten nutzen, um nach einem Werkzeugwechsel Entgratungsprozesse durchzuführen. Einer besseren Auslastung und geringeren Personalkosten steht eine Investition in zusätzliche Software gegenüber, welche sich jedoch – insbesondere bei bereits vorhandenen CAD-Lizenzen – in kurzer Zeit amortisiert. Eine gesteigerte Flexibilität und Homogenität der Fertigungszellen sind entscheidende Vorteile.
Ein durchgängiger, automatisierter Prozess, der mehrere Fertigungsschritte in ein und derselben Zelle ermöglicht, bietet mehr Konstanz bei der Bauteilqualität und reduziert so Aufwände der Qualitätssicherung. Die fortlaufende Bearbeitung steht rund um die Uhr zur Verfügung und reduziert die Lagerzeiten wartender Bauteile. So werden zusätzliche Kapazitäten frei. Der Prozess muss nicht durch manuelle Eingriffe wie Werkzeugwechsel oder Umspannvorgänge unterbrochen werden.
Vielversprechende Resultate bei bereits im Einsatz befindlicher Entgratungssoftware, wie die Softwaresuite ADM von SWMS, mündeten jüngst in einem Erprobungsprojekt. Unter der Schirmherrschaft von Siemens PLM wurden Potentiale der Roboterentgratung von teilbearbeiteten Gussteilen analysiert. Dabei wurden aber auch neue Herausforderungen aufgezeigt, die sich insbesondere für Gussteile mit hohen Form- und Lageabweichungen ergeben.
Abb. 1: Darstellung einer Messoperation in der Softwaresuite ADM
Bei unbearbeiteten Bauteilen mit hohen Abweichungen sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Prozesssicherheit beim Entgraten zu gewährleisten. Um geeignete, angepasste Werkzeugpfade für einen Entgratungsprozess zu generieren, sind etwaige Bauteilabweichungen zu erfassen und zu berücksichtigen. Erst bei genauer Kenntnis von Form und Lage eines realen Werkstückes kann der Prozess adäquat konfiguriert und umgesetzt werden, dies wird durch taktiles Messen erreicht.
Abb. 2: Entgratetes Fräsbauteil SWMS
Zu diesem Zweck wurde von SWMS eine Lösung entwickelt, durch welche Messzyklen der Siemens Sinumerik 840D sl-Steuerung in den Entgratungsprozess integriert werden. Die Einzelprozesse des Entgratens und der taktilen Messung können so in der CAM-Umgebung von Siemens NX gemeinsam geplant, simuliert und harmonisiert werden. Messergebnisse werden erfasst und die Informationen über Bauteilgestalt und -position direkt im weiteren Prozess genutzt.
Hier ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten, die über den Prozess der Bauteilentgratung hinausgehen. Auch als Stand-alone-Lösung bietet die Integration der Messprozessplanung in die CAM-Umgebung überzeugende Vorzüge. So können beliebige Messprozesse von der Maschine zeitlich und räumlich entkoppelt generiert werden. Die Vorteile eines CAM-Systems, wie Standardisierung, Simulation und Absicherung von Prozessen in der virtuellen Umgebung, werden verfügbar. Darüber hinaus erhöht sich die Bedienerfreundlichkeit gegenüber einer Online-Programmierung signifikant.
Der Einsatz von Robotern als Fertigungsmaschinen mit vielfältigen, variablen Aufgaben und die Integration von Messprozessen zur fertigungsnahen Bauteilprüfung ergeben in Kombination eine überlegene Lösung für zahlreiche Entgratungsaufgaben. Flexibilität, Prozesssicherheit und der Grad der Automatisierung werden gesteigert, Effizienz in der Fertigung erhöht.
Entgratungs- und Messprozesse werden auf zwei Ebenen zusammengeführt und schöpfen so ihr volles Potential aus: Die Prozessplanung und -simulation erfolgt einheitlich, durchgängig und benutzerorientiert offline in der CAM-Umgebung von Siemens NX. Zusammengeführt in einer Roboterzelle, ausgeführt von ein und derselben Maschine, verschmelzen Messung und Entgratung zu einem eng verzahnten, stabilen und selbstoptimierenden Gesamtprozess.
Veröffentlicht in: JOT (Journal Oberflächentechnik), Sonderheft 3/2017, Springer Vieweg
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